
INTERVIEW
MIT JOSH HAFTEL
DIE ENTSTEHUNG VON
NIK COLLECTION


Im Jahr 2001, nur sechs Jahre nachdem die ersten Ideen für Nik Collection entstanden waren, trat Josh Haftel einem aufstrebenden Jungunternehmen bei, das die Zukunft der digitalen Bildbearbeitung gestalten wollte.
Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von Nik Collection möchten wir Ihnen die faszinierende Geschichte von Haftel vorstellen.
WIE ES BEGANN
Ich bin 2001 direkt nach dem College (wo ich Fotografie studiert habe) eingestiegen und blieb auch nach Googles Übernahme des Unternehmens an Bord. Bis Ende 2013 habe ich bei Google an den Produkten mitgearbeitet. Meine erste Stelle bei Nik Software war die des Imaging Specialist, zu dessen Aufgaben Kunden- und technischer Support, grundlegende Software-Qualitätssicherung sowie Präsentationen bei Schulungsveranstaltungen und Messen gehörte. Im Jahr 2004 wechselte ich in das Produktmanagement und leitete die Entwicklung von Analog Efex Pro, Color Efex Pro 2 und 4, Dfine, HDR Efex Pro 1 und 2, Sharpener Pro 2 und 3, Silver Efex Pro, Snapseed sowie Capture NX 1 und 2.
DIE ANFÄNGE DER DIGITALFOTOGRAFIE
Als ich anfing, steckte die digitale Fotografie noch in ihren Kinderschuhen. Die meisten Digitalfotos waren Scans von Filmabzügen und die meisten Fotografen, denen wir unser Produkt verkaufen wollten, hatten kein Interesse an Nachbearbeitung. Unsere beliebteste Software war Sharpener Pro, da sie den Schwerpunkt auf die Wiederherstellung verlorener Schärfe während des gesamten Reproduktionszyklus von Scannen und Drucken legte.
Damals war es ziemlich schwierig, Leute davon zu überzeugen, Geld für Bildbearbeitungssoftware auszugeben, aber wir haben unsere Nische bei den Hobbyfotografen gefunden. Sie wussten insbesondere die auf die Fotografie zugeschnittene Terminologie der Produkte zu schätzen, die die Verwendung im Vergleich zu Photoshop erheblich vereinfachte. (Zu dieser Zeit gab es weder Adobe Camera Raw noch Lightroom und das von Fotografen am häufigsten verwendete Werkzeug in Photoshop war das Kurvenwerkzeug.)
Mit der Zeit, als die Digitalfotografie immer weiter voranschritt und die Nachbearbeitung immer mehr Akzeptanz fand, wurde es viel einfacher, unsere Produkte zu präsentieren. Die Plug-in-Landschaft im Bereich der digitalen Fotografie blühte auf und Fotografen hatten eine erstaunliche Auswahl an verschiedenen Werkzeugen, um die sie ihr fotografisches Repertoire erweitern konnten.
„Eines unserer obersten Ziele war es, die Digitalfotografie und Bildbearbeitung menschlicher zu gestalten. “
Wir haben erkannt, dass ein wesentliches Problem, das Menschen daran hinderte, ihre künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen, in der Schwierigkeit bestand, Auswahlen vorzunehmen. Damals verwendeten die meisten Fotografen das Zauberstab-Werkzeug in Photoshop, um eine Auswahl zu treffen, was zu unnatürlich wirkenden Ergebnissen führte. Wir suchten daher nach einer Möglichkeit, Auswahlen natürlicher zu gestalten. So entstand die U Point™-Technologie.
Von dort aus entwickelte sich das Smartphone zum nächsten großen Wachstumsmarkt, woraufhin wir Snapseed entwickelten, mit dem jeder direkt auf seinem Smartphone wie ein Photoshop-Profi arbeiten kann.
Nach der Übernahme durch Google hatten wir die großartige Gelegenheit, den Preis für Nik Collection erheblich zu senken und Snapseed kostenlos anzubieten. Dies trug zu einer enormen Verbreitung der Produkte bei und machte sie für immer mehr Fotografen auf der ganzen Welt zugänglich.
EINE INNOVATION IN SCHWARZWEISS
Silver Efex Pro war zwar nicht unbedingt eine technologische Innovation (obwohl es durchaus einige wirklich innovative Technologien gab), bedeutete aber dennoch eine enorme Wende im Bereich der hochwertigen fotografischen Nachbearbeitungswerkzeuge. Damals waren viele Plug-ins kitschig und voller Spielereien und Silver Efex Pro war unsere Liebeserklärung an eine der einzigartigsten Formen des fotografischen Ausdrucks, die Schwarzweiß-Fotografie.
GEPRÄGT DURCH ANWENDER-FEEDBACK
Wir hatten das Glück, eine unglaublich leidenschaftliche und engagierte Community von Anwendern und Profis zu haben. Wir besuchten regelmäßig Fotostudios, Postproduktionsfirmen und Druckvorstufenanbieter, um zu sehen, wie unsere Produkte eingesetzt wurden, und um die Bedürfnisse unserer Kunden besser zu verstehen. Wir unterhielten auch enge Beziehungen zu zahlreichen Fotoschulen, wodurch ich überhaupt erst meinen Job bekommen habe (ich hatte den Geschäftsführer in meinem letzten Jahr am RIT in Rochester, New York, der Heimat von Kodak, kennengelernt).
Das Führungsteam von Nik war ebenfalls der Meinung, dass Kundenservice eine unserer obersten Prioritäten sein sollte. Wir hatten die Regel, dass Anrufe immer persönlich entgegengenommen werden, E-Mails innerhalb von 24 Stunden (an Werktagen) beantwortet werden und schließlich 3x täglich an 5 Tagen pro Woche Live-Schulungen stattfinden, damit wir in ständigem Austausch mit unseren Kunden stehen konnten. Die Aufgabenpriorisierung unserer Teams orientierte sich an Kundenfeedback und -bedürfnissen. Fast alle unserer besten Funktionen und Produktideen wurden direkt von unseren Kunden vorgeschlagen.
EIN GRUND, STOLZ ZU SEIN
Bis heute gehört die Entwicklung von Snapseed zu den beruflichen Errungenschaften, auf die ich am meisten stolz bin. Als wir uns zum ersten Mal mit der Designagentur trafen, die uns bei der Namensfindung und der Gestaltung der Designsprache für Snapseed unterstützt hat, wurden wir gefragt: „Woran messen Sie den Erfolg (der damals noch unbenannten App)?“ Die Antwort, die mir sofort in den Sinn kam, war: „Wenn mir jemand, den ich nicht kenne, diese App empfiehlt.“
Genau das geschah ein Jahr nachdem ich Google verlassen hatte, als ich auf Reisen war und die Welt fotografisch festhielt. Am Strand sah jemand meine Kamera um meinen Hals baumeln, kam auf mich zu und sagte: „Hey, Sie scheinen gerne zu fotografieren – haben Sie schon einmal Snapseed ausprobiert?“ Selbst jetzt noch bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an diesen Tag zurückdenke.
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN
Eines der schwierigsten Probleme, mit denen man als Plug-in-Entwickler zu kämpfen hatte, ist der Zugriff auf die Systemressourcen eines Computers. In den Anfängen beschränkte Photoshop (und später Aperture und Lightroom) den Zugriff auf Speicher- und Prozessorressourcen, wodurch unsere Verarbeitungsmöglichkeiten eingeschränkt waren. (Beispielsweise konnten wir anfänglich nur auf eine geringen Bereich RAM, einen der verfügbaren Prozessoren oder Kerne zugreifen und hatten keinen Zugriff auf die GPU.)
Wir mussten die Einschränkungen dieser wichtigen Rechenressourcen unter Umgehung von Kompromissen bei Qualität, Interaktionsgeschwindigkeit und Vorhersagbarkeit der Ergebnisse umgehen. Sehr eng haben wir mit Adobe, Apple und Intel zusammengearbeitet, um Möglichkeiten zur Optimierung sowohl der Plattform als auch unserer Software zu finden, mit denen diese Einschränkungen umgangen und überwunden werden konnten.
In den Anfangsjahren war es eine große Herausforderung, profitabel zu arbeiten. Fotografie-Software war kein einfaches Marktsegment, und das Unternehmen nahm nie Risikokapital auf; alles wurde durch Verkäufe finanziert, bis wir eine Minderheitsbeteiligung von Nikon erhielten.
Mit dem Wachstum des Unternehmens und der Diversifizierung unserer Produkte nahm der Druck hinsichtlich unserer Rentabilität ab (verschwand jedoch nie vollständig) und machte für andere Herausforderungen Platz, wie beispielsweise das sich ständig verändernde Marktumfeld. Zu diesen neuen Herausforderungen gehörten die Vereinheitlichung von Funktionen (beispielsweise integrierte Lightroom eine Bildschärfungsfunktion, die den Bedarf unserer Kunden an Sharpener Pro weitgehend überflüssig machte) und die Einführung der Smartphone-Fotografie, die eine neue Zielgruppe mit ganz anderen Anforderungen erschloss.
SICH DEM WETTBEWERB STELLEN
Wir haben Adobe immer als unseren Hauptmitbewerber betrachtet, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Adobe Funktionen einführen würde, die einige unserer Plug-ins überflüssig machen würden. Wir haben die Entwicklung von Lightroom und den fotografiespezifischen Werkzeugen, die Adobe entwickelt hat, sehr genau beobachtet, wobei Snapseed mit seiner Ausrichtung auf das Niedrigpreissegment eine wichtige Absicherung für uns darstellte.
Die größten Herausforderungen, denen ähnliche Software heute ausgesetzt ist, sind die zunehmende Standardisierung und die Qualität der Bearbeitungen. Wenn wir ein Werkzeug haben, mit dem wir jeden Look mit sehr geringem Aufwand reproduzieren können (z. B. GAN-basierte Stilübertragung), ist es nicht mehr so wichtig, ein leistungsstarkes Werkzeug mit vielen Feineinstellungen zu erlernen.
ECHTE BEGEISTERUNG HERVORRUFEN
Mein Rat für junge Entwickler, die an ähnlichen Projekten arbeiten, wäre, eine Nische zu finden und dort zum unangefochtenen Marktführer zu werden. Machen Sie sich keine Mühe, der Platzhirsch zu werden, sondern sorgen Sie dafür, dass Sie für eine bestimmt Benutzergruppe unverzichtbar werden. Finden Sie dann heraus, was Ihre Werkzeuge so unverzichtbar gemacht hat und versuchen Sie, dieses Muster zu replizieren.
Es gibt unzählige Werkzeuge auf dem Markt, die ganz ok sind, aber die Welt braucht mehr Werkzeuge, die echte Begeisterung bei ihren Nutzern wecken.